Neue Entwicklungen im Messwesen erklärt


Welche neuen Veröffentlichungen gibt es im Messwesen?

Vor der Sommerpause hatten Bundestag und Bundesrat das neue Klimaschutzgesetz sowie ein Bündel von Energiegesetzen, u.a. auch Anpassungen im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG), verabschiedet. Gerade im Bereich Smart Metering finden interessierte Beobachter/innen aktuell viele richtungsweisende Informationen aus verschiedenen Kanälen.

Zum einen wurden durch die Behörden und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) der Barometer-Bericht zur Digitalisierung der Energiewende für das Berichtsjahr 2020 sowie neue „Technische Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Standards für die Digitalisierung der Energiewende“ veröffentlicht. Und auch ein erster Entwurf für eine aktualisierte Version 1.1 der Technische Richtlinie (BSI TR-03109-1) bzgl. „Anforderungen an die Interoperabilität der Kommunikationseinheit eines intelligenten Messsystems“ wird wohl aktuell in dem Ausschuss Gateway-Standardisierung diskutiert (Nachtrag: zeitgleich mit der Veröffentlichung dieses Beitrags hat der Ausschuss Gateway-Standardisierung nun auch die TR v1.1. veröffentlicht: Link).

Zum anderen gibt es Nachrichten über Weiterentwicklungen im Gerätesektor: Nun haben insgesamt drei SMGw-Hersteller eine Re-Zertifizierung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)  erhalten und ermöglichen mit ihren Geräten auch neue Tarifanwendungsfälle bzgl. des Netzzustandes sowie Mehrwertdienste auf Basis von hochfrequenten Messwerten.

Der rote Faden: Standardisierungsstrategie und Stufenmodell

Doch wo liegen die Zusammenhänge zwischen diesen Entwicklungen? Den roten Faden liefert tatsächlich die vom BMWi 2019 veröffentlichten  „Standardisierungsstrategie zur sektorübergreifenden Digitalisierung nach dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“ sowie der 2020 veröffentlichten „Fahrplan für die weitere Digitalisierung der Energiewende“. Im Zentrum des Fahrplans der Digitalisierung der Energiewende stehen die Smart-Meter-Gateways (SMGw), deren Weiterentwicklung sowie Einsatzgebiete. Während viele Leitplanken bereits seit Jahren feststehen, entwickeln sich die technischen Standards inkrementell weiter. Diesbezüglich sind insb. die oben genannten Dokumente und Informationen richtungsweisend. Die Umsetzung der Smart-Meter-Roadmap wird erkennbar immer detaillierter Kontur annehmen. In diesem Zusammenhang befindet sich das erwartete Stufenmodell in Version 2.0 nunmehr in der Kommentierung und damit unmittelbar vor der Veröffentlichung.

Wurde das aktualisierte Stufenmodell ursprünglich noch im ersten Quartal erwartet, sorgte die überraschende Entscheidung des OVG Münster, die Allgemeinverfügung für intelligente Messsysteme (für die klagenden Parteien) auszusetzen, augenscheinlich zunächst einmal für eine Verschiebung der Prioritäten. Im zweiten Quartal des Jahres ging es erst einmal um die Rettung des grundsätzlichen Smart-Meter-Infrastrukturansatzes. Nach der MsbG-Novelle kann sich nun wieder auf die Weiterentwicklung des Stufenmodells konzentriert werden.

Doch was sind eigentlich die wesentlichen Inhalte der bekannten Informationen aus dem Stufenmodell?

Das Stufenmodell im Detail

Das Stufenmodell ist das wesentliche Rahmendokument für die zukünftige inkrementelle Umsetzung der Digitalisierung der Energiewende, vor allem mittels intelligenter Messysteme (iMSys: also digitalen Stromzählern mit dem SMGw als sichere Kommunikationseinheit). Das Modell beschreibt den Pfad, welche Funktionen nach und nach durch die Branche umzusetzen sind. Hersteller, Softwareanbieter, Messstellenbetreiber, Netzbetreiber, Lieferanten, regulierende und gesetzgebende Instanzen und weitere Stakeholder (Stichwort E-Mobilität)  – nahezu alle sollen einbezogen und in die Pflicht genommen werden.

Systematisch bleibt man dem bisherigen Ansatz aus Energiewirtschaftlichen Anwendungsfällen (EAF), dazu notwendigen Systemanwendungsfällen (SAF) und Funktionsbausteinen (FB) treu. Auch strukturell beschreibt das Stufenmodell weiterhin zunächst die Systematik sowie den Stand der Technik, ehe die nächsten Weiterentwicklungsstufen und ein Ausblick gegeben werden.

Stand der Technik

Das Stufenmodell 2.0 definiert im Stand der Technik, Sommer 2021, zwei Typen von Systemanwendungsfällen. Zum einen (SAF-1.x): hierbei handelt es sich um jene Grundfunktionen, die die ersten intelligenten Messsysteme bereits seit dem Marktstart im Frühjahr 2020 beherrschen. Eingeweihten dürften diese Funktionen im Wesentlichen unter den Kürzeln TAF1, TAF6, TAF7 bekannt sein – also damit die Grundfunktionen, um überhaupt bei Verbraucher/innen abrechnungsrelevante Messwerte zu erhalten. Als Grundfunktionalität werden ebenfalls zeitvariable Tarife genannt (TAF2), auch wenn dies in der Branche zumeist erst später umgesetzt wurde.[1] Gleichzeitig stellen diese Grundfunktionen auch die Voraussetzung dar, um Webportale mit Daten zu versorgen. Die Systemanwendungsfälle zur Firmware-Aktualisierung und der Kommunikation zwischen CLS und Externem Marktteilnehmer (EMT) werden ebenfalls unter dem aktuellen Stand der Technik geführt (bereits seit der ersten Version des Stufenmodells), wenngleich es derzeit was die praktische Umsetzung der ersten SMGw-Firmwareupdates angeht, noch etwas ruckelt.

Dazu (SAF-2.x) kommen die Funktionen, die nach den oben genannten Re-Zertifizierungen der SMGw seit einem Dreivierteljahr enthalten sind (seit der Re-Zertifizierung des ersten Herstellers). Die neuen Tarifanwendungsfälle 9 („Bereitstellung der Ist-Einspeisung einer Erzeugungsanlage“) und 10 („Bereitstellung von Netzzustandsdaten“) versetzen insbesondere Netzbetreiber in die Lage, eine höhere Transparenz ihrer Infrastruktur zu erlangen und auf Basis dieser Informationen bspw. auch via CLS-Management zielgerichtet Anlagen zu steuern. Darüber hinaus bietet TAF 14 („Hochfrequente Messwertbereitstellung für Mehrwertdienste”) neue Möglichkeiten, um datenbasierte Geschäftsmodelle mit Fokus auf Letztverbraucher/innen auf den Weg zu bringen. Eine Übersicht finden Sie in der folgenden Darstellung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weiterentwicklung und Ausblick

Weitaus interessanter als der Stand der Technik, welcher im Wesentlichen den Status quo als zweite Entwicklungsstufe definiert, ist der Ausblick, welche Entwicklungen als nächstes zu erwarten sind. Fokus sind hier

  • die netzdienliche Steuerung,
  • die Einbeziehung der (öffentlichen und nicht-öffentlichen) Ladeinfrastruktur in das Smart Metering oder
  • das Submetering.

Ferner auch die Erweiterung auf weitere Sparten – hier wird die Anbindung Gas weitergedacht. So sollen künftig weitere Zähler via LMN-Schnittstelle anbindbar sein.

Die Marktakteure sind derzeit aufgefordert, ihre Rückmeldungen einzubringen – insofern muss dies nicht unbedingt Bestandteil der nächsten Stufe 3.0 werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Um weitere Sparten einzubeziehen und für die Elektromobilität den CLS-Ansatz zu öffnen, fasst das so vorgedachte Stufenmodell 3.0 die „Systemgrenze“ weiter. Bisher galten nur moderne Messeinrichtungen (mME) und SMGw als Bestandteile innerhalb der „Systemgrenze“; Steuerinfrastruktur und Zähler anderer Sparten hingegen lagen außerhalb derselben. Mittlerweile aber wird diese sog. „Systemgrenze“ erweitert und die zuletzt genannten Bestandteile sind nun erstmals Teil des Modells. Dies bedingt, dass jene künftig Bestandteile des Ordnungsrahmens der Smart Metering Infrastruktur werden. Proprietären Lösungen wird damit ein Riegel vorschoben. Das Sicherheitsmodell der iMSys-Welt wird auf andere Sparten übertragen.

Eigene „wide area network“- (WAN-)Anbindungen unter Umgehung des SMGw sind allerdings weiterhin möglich, sofern es nicht um „energiewirtschaftlich relevante“ Daten geht.

Was sind die nächsten Schritte?

Der nächste Schritt ist die Veröffentlichung des sich bis dahin ggf. geringfügig nochmals verändernden Stufenmodells 2.0 nach den Kommentierungen durch die Fachgremien. Gleichzeitig wird die TR 1.1 in den Ausschuss Gateway-Standardisierung gebracht. Hiermit wird der Stand der Technik auch regulatorisch verankert. Sollte es zeitlich nicht wieder zu Verzögerungen kommen, stände am Jahresende das Stufenmodell 3.0 – freilich abhängig von den Kommentierungen und den Einschätzungen der Ministerien. Unabhängig davon, was die konkreten Inhalte sein werden: Im Vordergrund werden weitere Sparten, das CLS-Management für die E-Mobilität sowie die Steuerung von Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen stehen. Darüber hinaus steht die Detaillierung bereits eingeschlagener Wege an (als Stichworte: CLS-Kanal für Drittanwendungen, EEBUS, ZSG, Netzzustandsdaten).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Netzbetreiber, Messstellenbetreiber und Lieferanten tun gut daran, sich auf die anstehenden Entwicklungen einzustellen. Die HORIZONTE-Group analysiert regelmäßig, welche Handlungsfelder der Marktteilnehmer direkt von den Plänen des Gesetzgebers tangiert werden! Auch in Ihrem Fall – sprechen Sie uns gerne an!

 

Nachtrag, 9. August 2021 – unser Bericht in der ZfK: 

Lesen Sie auch unseren Beitrag über das Stufenmodell in der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK).

 

 

  [1] Neuerungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) definieren in § 41a erstmals auch lastvariable, tageszeitabhängige und dynamische Stromtarife und geben großen Lieferanten (ab 200.000 Endverbraucher/innen) die Verpflichtung mit, solche Stromtarife ab 1. Januar 2022 anzubieten.  
Autor: Axel Wachtmeister; Co-Autor: Frank Hirschi