Von Frank Hirschi

Redispatch 2.0: Der Markt ist noch nicht startklar

Gemäß des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes 2.0 müssen die 890 deutschen Verteilnetzbetreiber (VNB) für Strom bis zum 1. Oktober 2021 neue gesetzliche Anforderungen zum Netzengpassmanagement umsetzen.

Hintergrund: Branche ist noch nicht Redispatch-ready
In unserer ersten HG-Marktbefragung (Ergebnisse hier) aus dem Frühjahr (April 2021) hielt der Großteil der befragten Expert/innen (68 %) den Go-Live vom neuen Redispatch-Regime zum 1. Oktober 2021 für nicht mehr realistisch. Lediglich 32 % der Teilnehmenden gab an, dass der Einführungstermin realistisch wäre. Um das aktuelle Stimmungsbild abzuleiten, haben wir mit dieser zweiten Marktumfrage noch einmal in der Branche nachgehakt.
Denn kurz vor dem Start hat sich die Meinung der Mehrheit bewahrheitet: Insbesondere die Prozesse des bilanziellen Ausgleichs werden nun für eine Übergangszeit bis zum 31. Mai 2021 anders umgesetzt als vorgesehen. Auch das sogenannte Planwertmodell wird erst mit Verzögerung zum 1. Oktober 2022 vollständig angewendet. Und auch viele technische Hürden, wie bspw. die Etablierung von Redispatch-Systemen oder die Anbindung an die RAIDA-Plattform, bestehen noch. Ganz zu schweigen von einem erheblichen Stammdatenproblem.

Im folgenden fassen wir die Auswertung kurz zusammen. Aber auch die Presse hat die Marktbefragung verfolgt und berichtet.

energate fasst zusammen “Redispatch-2.0-Start: 1. Oktober wäre nicht zu halten gewesen”:

Kurz vor dem eigentlich als Starttermin für den Redispatch 2.0 vorgesehenen 1. Oktober haben nur wenige Verantwortliche die dafür notwendigen Prozesse ausgiebig testen können. Stattdessen gibt es noch an allen Ecken und Enden Nachbesserungsbedarf, wie aus einer nicht repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung HORIZONTE-Group AG unter 61 Teilnehmern hervorgeht, die energate vorliegt. (…) Link

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Und die Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK) schreibt “Redispatch-2.0-Start: Das ist der Status-quo”

Im Frühjahr hatten 68 Prozent der befragten ExpertInnen den Go-Live zum 1. Oktober 2021 für nicht mehr realistisch eingestuft. Nur 32 Prozent gaben an, dass der Einführungstermin realistisch wäre. Die aktuelle (nicht repräsentative) Umfrage und die Übergangslösung des BDEW zeigen nun auch: Die Branche ist auch kurz vor dem Start noch nicht vollends vorbereitet. (…) Link

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Zur Befragung
Die HG-Marktbefragung startete am 16. September und lief bis zum 24. September 2021. Insgesamt
61 Expert/innen aus der Energiewirtschaft haben an der Marktbefragung mit (bis zu) 18 Fragen teilgenommen (Je nach Einsortierung des Unternehmens wurden weniger Fragen gestellt).
Die Teilnehmenden bilden dabei sowohl die operativen als auch die strategischen Bereiche ab:
66% der Teilnehmenden vertreten Verteilnetzbetreiber (33 %), sowie Systemhersteller (11 %) und Dienstleister-Unternehmen (22 %). Übertragungsnetzbetreiber (2 %), Anlagenbetreiber (15 %), Vertriebe / Lieferanten (7 %) und Sonstige (11 %) machen ein Drittel der Teilnehmenden aus. Insgesamt kann auf Basis der Antworten zwar kein repräsentatives Marktbild gezeichnet werden, jedoch entsteht ein guter Eindruck vom Status Quo in der Branche.

Dienstleister unterstützen die VNB aber stricken mit heißer Nadel
Von 57 Antwortenden sieht sich eine knappe Hälfte nicht gut auf den Redispatch 2.0 vorbereitet. Darunter befinden sich sowohl VNB (12), Anlagenbetreiber (6), Dienstleister (6), Systemhersteller (3) als auch Vertriebe / Lieferanten (1).
Ein gutes Drittel sieht sich jedoch als gut vorbereitet an und kann für den Marktstart produktiv gehen (5 VNB, 5 Dienstleister, 3 System-Hersteller, 3 Anlagenbetreiber, 3 Lieferanten / Vertriebe, 1 ÜNB). In Teilen (9 %) gilt dies für eine Gruppe aus VNB (3) sowie jew. einem System-Hersteller und Dienstleister.
Dass die Zeit bis zum gesetzlich festgeschriebenen Marktstart knapp ist, beweist, dass lediglich 7 % der Teilnehmenden ganzheitliche Tests vornehmen konnten (1 VNB, 2 Dienstleister, 1 Vertrieb / Lieferant). Dazu gesellet sich 1 VNB, der bereits in Teilen testen konnte. Die große Mehrheit von knapp 90 % der Teilnehmenden konnte allerdings noch keine ausgiebigen Tests der neuen Systeme und Prozesse vornehmen.

Was muss passieren, um so schnell wie möglich Redispatch-2.0-fähig zu sein?
Die am häufigsten genannten Punkte beziehen sich auf mehr Zeit für die Umsetzung (bspw. „Verlegung um 1 Jahr“, „Fristverlängerung“, „Zeit für die Dienstleister“).
Darüber hinaus plädieren die Antwortenden häufig für eine transparentere (und ganzheitlichere) Darstellung der Prozesse, sowie intensivere Branchendialoge, v.a. mit den operativen Einheiten sowie eine bessere und konkretere Planung.
So sehen auch rund 11 % der Antwortenden eine Bestandsanalyse als sinnvoll an, um eine stufenweise ablaufende Einführung des neuen Redispatch-Regimes in die Wege zu leiten.
Weitere Antwortende wünschen sich eine die technischen Dokumente in englischer Sprache, da Entwickler-Teams größtenteils international besetzt sind oder bessere Unterstützung bei Connect+ in Bezug auf die Registrierung bei RAIDA.

Was Netzbetreiber nun tun können
Der zum 1. Oktober geplante Marktstart von Redispatch 2.0 wird durch die BDEW-Übergangslösung zwar bis zum 31. Mai 2022 in Teilen verzögert. Die Übergangslösung stellt allerdings keine vom Gesetz abweichende Vorgabe dar und bezieht sich vor allem lediglich auf eine provisorische Lösung für den bilanziellen Ausgleich. Somit sind weiterhin alle Netzbetreiber dazu angehalten, ihre Umsetzung schnellstmöglich und unter Hochdruck voranzubringen. Dabei gilt es spätestens zum 1. März 2021 für die startende 3-monatige Testphase betriebsbereit zu sein.

Unter folgendem Link können Sie die ausführliche Auswertung unserer Umfrage anfordern:

> Auswertung der Marktbefragung anfordern (die Umfrage ist seit dem 24. September geschlossen)

Sprechen Sie uns auch gerne an, wenn Sie Beratung zum Thema Redispatch 2.0 wünschen!