Analyse und identifizierte Handlungsbedarfe


Zu Beginn des Jahres 2022 und am Anfang der neuen Legislaturperiode hat sich die Lage auf dem Energiesektor in Deutschland auf dramatische Weise zugespitzt. Nach der Wahl der neuen Bundesregierung und Veröffentlichung des Koalitionsvertrages war bereits mit einer deutlichen Verstärkung der Anstrengungen in Sachen Energiewende gerechnet worden. Die Nachwirkungen der Pandemie und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine dürften in den kommenden Monaten nun wie ein Brandbeschleuniger wirken. Auch wenn angesichts der verheerenden Bilder, die uns mittlerweile erreichen, eine derartige Ausdrucksweise als unangebracht erscheinen mag: Der Handlungsbedarf in Richtung eines Umbaus unseres Energiesystems könnte kaum größer sein.

  • Der aus Gründen des Klimaschutzes notwendige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wird angesichts der sich immer weiter konkretisierenden Vorhersagen für unser Klima auf der politischen Agenda bleiben.
  • Der eingeleitete Umstieg auf die Elektromobilität und die Vielzahl der Entwicklungen, die allgemein unter dem Begriff Sektorkopplung subsumiert werden, lassen für die nächsten Jahre einen deutlichen Anstieg des Strombedarfs erwarten.
  • Der drastische Anstieg der Preise für Öl und Gas und die durch den Krieg deutlich gewordene inakzeptable Abhängigkeit von nicht demokratisch geführten Ländern, dürfen in Zukunft keinen Einfluss auf den Zusammenhalt innerhalb unserer Gesellschaft gewinnen.

Während der letzten 20 Jahre wurde zwischen den politischen Lagern in Deutschland eine zähe Auseinandersetzung über den richtigen Weg im Hinblick auf die Klima- und Energiepolitik geführt. Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, dass die oben wiedergegebene Analyse von einer breiten Mehrheit unserer Gesellschaft getragen wird. Dies aber heißt auch, die Entwicklungen der nächsten Jahre auf dem Energiesektor sind nun besser vorhersehbar als zuvor:

  • Der Zubau von EEG-Anlagen wird deutlich an Fahrt gewinnen. Regulatorische Hemmnisse, wie sie zum Beispiel die Abstandsregelungen bei Windkraftanlagen bedeuten, werden abgebaut. Der bereits im Umlauf befindliche Referentenentwurf zur Novelle des EEG sprechen eine deutliche Sprache.
  • Der Ausbau der Übertragungsnetze und der Bau der Nord-Süd-Trassen wird kommen.
  • Die Umsetzung aller möglichen Maßnahmen zur Steigerung der Einsatzeffizienz fossiler Brennstoffe wird unumgänglich.
  • Die Einspeise-Volatilität des EE-Stromes in die Netze, macht deren schnellstmöglichen intelligenten Ausbau unverzichtbar.
  • Angesichts der wachsenden Cybergefahren muss dieser digitale Umbau der Netzinfrastrukturen gleichzeitig in hochgradig abgesicherter Form erfolgen. Der in der Vergangenheit oftmals belächelte „Sicherheitswahn“ beim Smart-Meter-Rollout erscheint vor diesem Hintergrund in vollem Umfang gerechtfertigt.

In der Vergangenheit hat immer wieder die Abstimmung des Regulierungsrahmens und Festlegung der Marktprozesse für deutliche Verzögerungen bei Investitionsentscheidungen durch das Management von Energieversorgungsunternehmen geführt. Anfang 2022 ist für solche Verzögerungen keine Zeit. Die weiterhin in vielen Bereichen nicht finale Ausgestaltung des Regulierungsrahmens der neuen Ampelregierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschwindigkeit der Veränderungen keine Zeit für langüberlegte klassische Organisationsentwicklung lässt. Agile Unternehmen mit einem klaren strategischen Fokus sind nun im Vorteil. Ganz oben auf die strategische Agenda der Unternehmen gehören daher in den folgenden Jahren:

  • Die Entwicklung und der Ausbau von Kompetenzen in den technischen und IT-technischen Bereichen.
  • Die Entwicklung von IT-Werkzeugen und deren Implementierung, insbesondere solcher Werkzeuge, die im Hinblick auf das Monitoring, die Führung und die Schaltung von Anlagen und Netzen unterstützen.
  • Die Befähigung im Hinblick auf die Steuerung des Einsatzes von Dienstleistern und Subunternehmern.

Anfang des Jahres 2022 sind die Herausforderungen gewaltig. Darüber hinaus ist nicht absehbar, wie schnell uns die umfassende Energie- und Infrastrukturwende gelingt. Indes haben uns die letzten Monate gezeigt: Über das Ziel an sich werden wir nicht mehr diskutieren.

 

Autor: Jochen Buchloh